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 Anhebung der Landgerichts-Zuständigkeitsstreitwerte

Stellungnahme des DRB-BW zur beabsichtigten Neuregelung der Zuständigkeitsstreitwerte zwischen Amts- und Landgericht

An den
Deutschen Richterbund
Haus des Rechts
c/o Frau Keller
Kronenstraße 73
10117 Berlin


Betreff: Anhebung der Landgerichts-Zuständigkeitsstreitwerte
Bezug: Ihre Mail vom 8.12.2021


Liebe Frau Keller,

für die Gelegenheit, zur Neuregelung der Zuständigkeitsstreitwerte zwischen Amts- und Landgericht Stellung zu nehmen, danken wir sehr und erklären uns wie folgt:

Die interne Umfrage innerhalb unseres Landesverbands ergab eine nahezu einhellige Zustimmung zu einer Erhöhung der Zuständigkeitsgrenze für die streitwertabhängige Zuständigkeit des Amtsgerichts. Was den Betrag der Zuständigkeitsgrenze anlangt, sprachen sich viele Kolleginnen und Kollegen für einen Betrag von 7.500 €, aber auch von 10.000 € aus. Letzteres dürfte zur Erreichung des Zwecks, die Amtsgerichte wieder mit mehr Fällen zu befassen, zielführender sein. Der Streitwertbereich zwischen 5.000,01 € und 7.500 € ist nämlich bei den Landgerichten nach allgemeiner Beobachtung nicht so stark besetzt, dass sich daraus starke Entlastungseffekte für die Landgerichte bzw. entsprechende Mehrungen der Fallzahlen bei den Amtsgerichten ergeben würden.
Auch eine Erhöhung des Betrags, bis zu dem das amtsgerichtliche Verfahren nach billigem Ermessen geführt werden kann (§ 495a S. 1 ZPO) sowie des Betrags, ab dem eine Berufung zulassungsfrei statthaft ist, wird in breiter Mehrheit befürwortet.

Allerdings weisen viele Kolleginnen und Kollegen darauf hin, dass eine Anhebung des Zuständigkeitsstreitwertes auch eine Neubewertung der amtsgerichtlichen Pebb§y-Produkte erfordert. Es würde jeder nachvollziehbaren Logik entbehren, wenn z. B. ein Bauprozess über einen Betrag von 9.900 €, der bisher beim Landgericht mit einer bestimmten Zeitvorgabe bewertet wurde und infolge einer Zuständigkeitsverschiebung nunmehr beim Amtsgericht geführt würde, nach dem aktuellen Pebb§y-Schlüssel beim Amtsgericht mit einem deutlich geringeren Zeitkontingent bewertet würde als bei einer Behandlung des Falles beim Landgericht. Eine Verschiebung der Streitwertgrenzen erfordert daher zwingend eine Verbesserung der bisherigen Pebb§y-Bewertungen bei den Amtsgerichten, was unser Verband ausdrücklich und strikt als Forderung mit dem Votum für eine Streitwertanhebung verknüpft.

Es gab aber auch Stimmen, die einen viel grundsätzlicheren Ansatz vertraten, die wir für sehr
bedenkenswert erachten und die deshalb auszugsweise wörtlich wiedergegeben werden sol-
len:

„Die Diskussion [über die Anhebung der Streitwerte zur Abgrenzung der Zuständigkei-
ten zwischen Amts- und Landgericht] ist in der Tat überfällig, könnte aber auch schnell
eine Diskussion über Rolle und Aufgaben der Amtsgerichte nach sich ziehen. Denn die
(absolut richtigen und notwendigen) Spezialisierungsbestrebungen auf Seiten der Ge-
richte (s. §§ 72a, 119a GVG) gehen bislang an den Amtsgerichten relativ spurlos vor-
bei; während es an den Landgerichten für die in § 72a GVG genannten Rechtsgebiete
Spezialkammern gibt, fehlen entsprechende Regelungen für die Amtsgerichte. Mit hö-
heren Streitwerten stellt sich dann noch drängender die Frage, ob es entsprechender
Regelungen auch für die Amtsgerichte bedarf.
Ein anderer – aus unserer Sicht sehr sinnvoller – Weg wäre es, die Regelungen in §§
23, 71 Abs. 2 GVG weiterzudenken und Verfahren aus den in §§ 72a, 119a GVG ge-
nannten Gebieten streitwertunabhängig den Landgerichten zuzuweisen – und bei-
spielsweise Verkehrsunfallsachen streitwertunabhängig den Amtsgerichten. Also: An-
hebung [der Streitwertgrenzen] nur, wenn die Spezialzuständigkeiten des Landgerichts
streitwertunabhängig ausgestaltet werden und das LG ggf. nur noch Spezialzuständig-
keiten hat. Im gewerblichen Rechtsschutz hat man mit der streitwertunabhängigen Zu-
ständigkeit gute Erfahrungen gesammelt. Mir ist nicht verständlich, warum nach den
derzeitigen Regeln die Arzthaftungssache bis 5.000 € vom generalisierten Amtsrichter
allein, die über 5.000 € aber von der Spezialkammer des Landgerichts bearbeitet wird.
Genauso wenig kann man m.E. erklären, warum der Amtsrichter nicht auch für den
Verkehrsunfall oder die Gewerberaummietsache über 5.000 € zuständig ist.“

In die gleiche Richtung weist der weitere, ebenfalls wörtlich zitierte Beitrag:

„Die Amtsgerichte wurden einst eingeführt für Streitigkeiten, „welche wegen ihrer Geringfügigkeit der, Kräfte und Kosten unverhältnismäßig in Anspruch nehmenden, kollegialen Entscheidung nicht bedürfen, oder welche eine schnelle, durchgreifende, mit den Lokalverhältnissen vertraute Justiz erfordern und sich deshalb besonders zur einzelrichterlichen Bearbeitung eignen“ (Kissel, GVG, 10. Aufl., § 23, Rn. 2).

Mir scheint es – mit Kissel, aaO, Rn. 6 f. – zweifelhaft, ob der Streitwert tatsächlich etwas über die Schwierigkeit der Rechtssache aussagen kann. Aussagekräftiger halte ich den Inhalt der Streitigkeiten, so dass m.E. jedenfalls in den Streitigkeiten für die in § 72a GVG Spezialkammern vorgesehen sind, eine Schwierigkeit der Rechtslage kaum von der Hand zu weisen sein wird. Entsprechendes dürfte für § 348 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ZPO gelten. Bei den Verkehrsunfällen hängt es oftmals vom Zufall ab, ob der Schaden über oder unter der Zuständigkeitsschwelle liegt. Die Kollegen am AG sind aber gerade in Verkehrsunfällen besonders erfahren, so dass mir nicht einleuchtet, weshalb sie nicht auch Verfahren über 5.000 € durchführen können sollten. Allerdings kann ich nicht leugnen, dass die Wertschwelle leicht feststellbar ist, die „Schwierigkeit der Rechtssache“ aber – abgesehen von den genannten Spezialmaterien – eher nicht.

Vor diesem Hintergrund erscheint mir die bloße Diskussion um die Wertschwelle zu kurz zu greifen. Stattdessen könnte eine Prüfung sinnvoll sein, was welche Instanz im Gerichtsaufbau leisten kann bzw. soll. In diese Diskussion fallen m.E. auch die Schlagworte der „Online-Gerichte“ für Bagatellverfahren (wie will man diese definieren?) und die Problematik der Massenverfahren (wie bei Diesel). Das dürfte aber wesentlich komplexer sein, als die bloße Reduktion auf irgendwelche Geldbeträge als Zuständigkeitsschwelle, so dass ich Zweifel habe, ob überhaupt eine Neigung besteht, diese für die Zukunft der Ziviljustiz grundlegende Diskussion zu führen.“

Uns erscheinen diese Denkansätze erwägenswert und geeignet, die Aufgabenverteilung zwischen Amts- und Landgerichten wieder besser zu verteilen, die Bedeutung der Amtsgerichte zu heben und insgesamt die Effizienz der Rechtsprechung zu steigern.

Wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie uns nachrichtlich die Stellungnahmen der anderen Landesverbände zukommen lassen könnten.

Mit herzlichen Grüßen,

Wulf Schindler